Die Suche nach einer zeitgemäßen österreichischen Briefmarke lässt sich kaum trennen von der generellen Frage nach der Identität des Landes, seines Selbstverständnisses und den Formen seiner Repräsentation zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Im Gegenteil: dieser Zusammenhang bildet das inhaltliche Zentrum des Projekts »Marke Österreich«, das allerdings auf spezifische Weise angegangen wird, nämlich »praktisch« d.h. in Form von konkreten Vorschlägen. Den Anlass bildet der Eindruck, dass die Frage nach einem zeitgemäßen Österreichbild über weite Strecken ungelöst oder zumindest unterbelichtet ist und auch die aktuell verbreitete Rede von »Österreich als Marke« daran nicht viel ändert. Dieser Befund wird zunächst durch die durchaus subjektive Wahrnehmung gewonnen, dass dort, wo den Staatsbürgern Insignien österreichischer Identität begegnen, sie sich nicht nur inhaltlich, sondern auch formal selten davon angesprochen fühlen.

Viel öfter als mit Zustimmung ist mit Kritik und Distanzierung zu rechnen: das was unter dem Titel »Österreich« in Erscheinung tritt, wirkt für viele Zeitgenossen nicht selten merkwürdig antiquiert, gestalterisch uninspiriert und inhaltlich wenig aussagekräftig. Als Beleg für diese Einschätzung kann eine Fülle von hier nur exemplarisch aufgezählten Beispielen dienen, die von der grafischen Gestaltung von Logos und Schriftzügen, die »Österreich« im Namen führen oder offizieller Drucksorten wie Formularen, Ausweisen, Urkunden etc. über das Design von Broschüren und Websites der verschiedensten staatlichen Stellen und Ämter bis zur Gestaltung des öffentlichen Raums und seiner visuellen Leitsysteme insgesamt reicht.

Die Mitteilungen, Symbole und Zeichen des »offiziellen Österreich« scheinen außerdem oftmals aus einer Sphäre zu stammen, die mit dem heutigen Selbstverständnis und Alltag vieler Bürger wenig zu tun hat. Auch die Tatsache, dass Österreich heute ein Land ist, in das ein erheblicher Teil seiner Bewohner aus anderen Ländern zugewandert ist, spiegelt sich kaum in der Art und Weise, wie dieses kulturell heterogene Land nach innen und außen auftritt. In vielen Fällen wirken die visuellen Identitäten öffentlicher Institutionen in Österreich starr und statisch und wenig geeignet, ein Land zu repräsentieren, das sich laufend verändert. Außerdem scheint es auf Seiten der staatlichen Institutionen, die durch ihre Aktivitäten und Aufträge weiterhin maßgeblich das Erscheinungsbild des Landes bestimmen, weiterhin wenige Ansätze zu geben, um zu klären, was Österreich als moderne Demokratie mit vielen anderen Ländern der Europäischen Union und mit dem Rest der Welt verbindet bzw. wodurch es sich unterscheidet. Im Gegensatz zu anderen Ländern bildet das Thema »Identität« und deren zeitgemäße Repräsentationen hierzulande nicht wirklich Gegenstand einer breiteren Debatte, in deren Verlauf Antworten gefunden werden könnten, denen auch Dank des allgemeinen Diskussionsprozesses eine gewisse Plausibilität zukommen würde.

Wenn österreichische Identität ins Bild kommt, so ist sie weniger Ausdruck des Selbstverständnisses des Landes am Beginn des 21. Jahrhunderts oder seiner unterschiedlichen Zukunftsvisionen, sondern sie ist rückwärtsgewandt. Was dominiert sind Bilder im Sinne eine Images, das am ehesten der touristischen Vermarktung des Landes dient. Dabei sind es häufig Versatzstücke aus der imperialen Geschichte, die eine Art Fundus bilden, auf den immer wieder zurückgegriffen wird. Die hier erwähnten Kritikpunkte wie inhaltliche Unschärfe, mangelnde Diskussion der Fragestellung in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs, unzureichende Regelung der Verfahren bei der Vergabe und Umsetzung sowie last but not least formale Schwächen werden umso augenfälliger, wenn die österreichische Situation vor dem internationalen Hintergrund betrachtet wird, was längst ein Gebot der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Realität ist. Die skandinavischen Länder, die Niederlande, aber auch Nachbarländer wie die Schweiz mögen hier als Beispiele dafür dienen, wie mit dem schwierigen Thema nationaler Identität auf progressive Weise umgegangen wird, was sich auch in entsprechenden »Erscheinungsbildern« manifestiert.

Allerdings ist es wesentlich leichter, Kritik am Selbstverständnis und an seiner Repräsentation zu üben oder auch die Gründe für dieses Manko herzuleiten, als das empfundene Vakuum durch neue, substanzielle Ideen zu beheben. Deshalb geht es »Marke Österreich« darum, konkrete Vorschläge zu präsentieren, die selbstverständlich auf Basis der individuellen Auseinandersetzung der Teilnehmer mit den Implikationen des Identitätsthemas gewonnen wurden und die dennoch den allgemeinen Diskurs über Identität stimulieren mögen. Im Mittelpunkt stehen allerdings nicht die theoretische Analyse, sondern immer die tatsächliche inhaltliche Idee und ihr entsprechender gestalterischer Ausdruck.